„Wir sind die Guten“ - ein Plädoyer für weniger moralischen Druck

Um eines von vornherein klarzustellen: Es ist gut, dass es NGOs gibt und dass sie in den letzten Jahrzehnten zu einer ernst zu nehmenden Kraft in vielen Politikfeldern geworden sind. Sie haben sich Gehör verschafft und viel erreicht – als Beispiel wäre etwa die Kampagne zum Verbot von Landminen zu nennen, und es ließen sich viele weitere finden.

Keine Frage, NGOs sind „die Guten“. Auch wenn man es meist professioneller ausdrückt – Idealismus gehört für NGO-Mitarbeitende meistens zu Ihrer Arbeit wie für andere die Krawatte. Sie treten mit einem hohen Anspruch an und leisten oft unter schweren Bedingungen ihre Arbeit.

Trotzdem oder gerade deshalb sollten NGOs bereit sein, sich selbst und ihren moralischen Anspruch zu hinterfragen. Selbstkritik ist allerdings nicht immer ihre größte Stärke, und dafür gibt es auch nachvollziehbare Gründe. Wenn man von einer öffentlichen Förderung abhängig ist, möchte man verständlicherweise nicht gerne zugeben, dass ein Projekt nicht besonders gut gelaufen ist. Gegenüber den Spendern organisationsinterne Probleme offen kommunizieren? Bloß nicht. Und schließlich ist auch das NGO-Geschäft von Machtstrukturen geprägt. Da kann es sein, dass man noch nicht einmal intern Fehler eingestehen mag.

All das ist höchst menschlich, und totale Offenheit kann sich eine NGO wohl auch nicht immer leisten – und doch scheint mir, dass der moralische Anspruch auch zu einem großen Problem werden kann. Aus dem Wunsch, Gutes zu tun, kann der Druck werden, den Anschein des Guten zu wahren – gegenüber Geldgebern, Spendern, Kollegen und sich selbst. Offenheit und Innovationsfähigkeit gehen dabei manchmal verloren, bis hin zu Kritikunfähigkeit und Unehrlichkeit. So mancher NGO würde man ein besseres Verhältnis zu Fehlern und Problemen in ihrer Arbeit wünschen. Ein misslungenes Projekt sollte als Gelegenheit zum Lernen und Weiterdenken begriffen werden, und nicht nur als drohende Mittelrückforderung oder gar Verlust der Förderlinie. Und wie soll die Qualität der eigenen Arbeit gesichert werden, wenn nicht einmal intern Probleme offen diskutiert werden können?

Allerdings spielen hier auch Zuwendungsgeber, Spender und die Öffentlichkeit eine ambivalente Rolle. In der Debatte über NGOs werden einige heikle, aber zentrale Punkte meist ausgeblendet: NGOs und ihre Mitarbeitenden haben Eigeninteressen jenseits des Gutmenschentums. Hier soll natürlich nicht für Maßlosigkeit plädiert werden, aber das Ziel sollten professionelle Bedingungen für professionelle Arbeit sein. Außerdem wäre ein gelasseneres Verhältnis zu Fehlern hilfreich: Wenn NGOs Fehler machen oder Probleme auftreten, muss das nicht in jedem Fall heißen, dass sie keine Förderung oder keine Spende verdienen. Fehler passieren, das Geschäft von NGOs ist alles andere als trivial, weshalb Managementprobleme keine Ausnahme sind (man sollte übrigens nicht denken, dass dies in der „freien Wirtschaft“ grundsätzlich anders wäre). Entscheidend ist, ob daraus gelernt wird.

In diesem Sinne: Bewahren Sie sich Ihren Idealismus, und bewahren Sie ein ehrliches Verhältnis zu Ihrer Arbeit. Dazu gehört, sich selbst und das eigene Handeln regelmäßig zu hinterfragen, eine Kultur der Offenheit in der eigenen Organisation zu fördern und nach Verbesserungsmöglichkeiten zu suchen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei, Gutes besser zu tun.

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Über den Autor

Martin Peth
Gründer und Gesellschafter bei SYSTOPIA